Else Panneks Website Narzissenleuchten.de

 

 

 

Ätzend


Frau Meierschulte-Lohmann war eine freundliche, stets hilfsbereite, flinke Person. Unermüdlich plätscherte sie Worte:

"Sehen sie mal, was ich alles eingekauft habe! Heben sie die Tasche an! Schwer, nicht? Ich habe schöne Filetsteaks. Die Kinder kommen morgen und mein Schwiegersohn isst die so gern. — Gleich will ich noch zwei Kuchen backen. Eine Apfeltorte und eine Quarktorte. — Nachdem ich gestern bei den Kindern fertig war, habe ich ganz schnell meine Wohnung gemacht. Ich war richtig in Schweiß gebadet, habe
mich gar nicht erst hingesetzt, sonst hätte ich nichts mehr geschafft, so müde war ich. — Für den Friseur hat die Zeit nicht gereicht, das mache ich gleich, aber zuerst backe ich die Apfeltorte. — Ihre Frisur sitzt immer, sie haben schönes Haar. Sie sagen auch wenig, aber sie haben so viel Verständnis, sie meinen es mit jedem gut. Genau wie ich. — Die Äpfel für die Torte hab ich in der Fernerstraße geholt, ist ja 'n bisschen weit, aber die hatten so gute. Zum Backen kann man nicht jede Sorte nehmen, einige eignen sich einfach nicht. — Vorgestern hab ich auch gebacken. Ich brauchte dafür nur Äpfel und Sahne zu holen, alles andere hatte ich im Hause. Aber heute hab ich noch nicht alles. Wie spät ist es jetzt? Und wie lange hat der Supermarkt geöffnet? Oh, dann muss ich mich beeilen, ich brauche noch Zucker, Quark und Sahne!"

Frau Meierschulte-Lohmann sprach durchgehend, ohne Punkt und Komma, ohne Gedankenstrich und Pause. Sie krallte sich in die Ohren ihrer Zuhörer und ließ nicht locker.

"Oh, bitteschön, das hab ich gern für Sie getan! Aber Sie brauchen sich nicht großartig zu bedanken, sowas mag ich gar nicht! Die Kinder freuen sich auch immer, wenn alles fertig ist. Wenn die von der Arbeit kommen, sind sie müde. Genau so sehr wie Sie. Die brauchen dann ihre Ruhe. Dafür habe ich Verständnis. — Ich bin froh, dass ich alles schaffe und dass die Kinder nur drei Häuser weiter wohnen. Jetzt finde ich doch meine Schlüssel nicht. Ob die zuunterst in der vollen Tasche sind? — Ich will Ihnen mal meine Schlüssel geben, falls etwas ist. Nachbarn sollen ja aufeinander aufpassen, das habe ich gerade wieder gelesen."

"Das bin ich. Vorhin hatte ich noch nicht alles erzählt und man muss seine Worte ja loswerden. Wirklich, man muss seine Worte loswerden. Deshalb hab ich nochmal bei ihnen geklingelt. — Heute Nachmittag bin ich bei einer Bekannten eingeladen. Ich gehe ungern, aber sie sagte, ich solle kommen. Hätte ich nur nicht den Hörer abgenommen, als das Telefon läutete. Die Frau ist anstrengend, sie redet so viel. — So, nun habe ich alles gesagt, tschühüß."

"Nein sowas! Entweder man sieht sich tagelang nicht oder man trifft sich immer. Ich hab auf Sie gewartet. Als ich jemanden ins Haus kommen hörte, dachte ich, dass Sie es sind. Stellen Sie sich vor, gestern wollte ich backen und hatte kein Backpulver im Haus. Ich musste doch tatsächlich noch einmal runter. Hab's gerade vor Ladenschluss geschafft. Der Kuchen ist lecker geworden. Diesmal war es eine Käsesahnetorte. Meine Enkelin hatte sich die für ihre Freunde bestellt. Das sind alles nette junge Leute. Wir sind froh darüber, ist ja wichtig, mit wem die Kinder umgehen. — Heute backe ich einen Marmorkuchen für die Kinder. Sie verbringen das Wochenende in der Heide.
Am Sonntag darauf sind dann alle wieder zum Essen bei mir. — Meine Tochter nimmt zum Kaffee immer nur ein Stück Torte. Ich esse gern zwei Stücke. Ich muss immer was Süßes zum Naschen im Hause haben. — Neulich hatte ich mal nicht gebacken, ich wollte auch keinen Kuchen essen, aber dann habe ich mir doch welchen vom Konditor geholt.
Ich wollte mir einen Rock kaufen, aber die passen alle nicht so richtig. Sehen sie mal, hier sitzt es nie. — Das bisschen Kuchen macht nicht dick, der ist doch so leicht. — Aber ich kann machen was ich will, ich nehme nicht ab."

"Ich bin's, guten Morgen!" "Guten Morgen! — Ich telefoniere gerade." "Ich habe geklingelt, um Ihnen schnell was zu sagen. Denken sie nur, ich war doch gestern bei meiner Bekannten. Bin noch ganz k.o. Ich blieb bis zum späten Abend und nun soll ich morgen schon wieder hin. Das passt mir gar nicht, da komme ich um meinen Spaziergang. Ich gehe gern spazieren, gestern war ich bis zur Alster. Wenn ich meinen Spaziergang nicht mache, fühle ich mich nicht wohl. — Aber die Bekannte kann das Alleinsein nicht ab. Nun muss ich wieder hin. — Dort gibt es immer nur gekauften Kuchen. Den soll ich auf dem Weg gleich mitbringen. Ich weiß noch gar nicht, was ich jetzt backe. Wohl wieder einen Pflaumenkuchen, der schmeckt immer gut. Und so lange die Zeit da ist. — Also, ich kann machen was ich will, ich nehme nicht ab. Neulich, die Röcke, die ich anprobierte, passten alle nicht so richtig. — Ich hole schnell noch Pflaumen für den Kuchen. — So, — jetzt dürfen sie weitertelefonieren!"

Und wenn es köstlich war, so ist es Mühe und Arbeit gewesen. — Von den Personen, die der Ansprache lauschten, hatten viele auffallend große, trompetenförmige Ohren. Einige trugen Male, als hätte sich etwas in ihnen festgebissen.

Der Pfarrer sprach von unermüdlicher Hilfsbereitschaft und von einem aufopferungsvollen Leben. Alle dachten lebhaft an Frau Meierschulte-Lohmann.
"Stellen sie sich vor, ich hatte doch tatsächlich kein Backpulver im Hause!", glaubten sie zu hören.
Trompetenförmige Ohren richteten sich gewohnheitsmäßig nach vorn. "Ich musste noch einmal runter. Hab's gerade vor Ladenschluss geschafft. Der Kuchen ist ganz prima geworden."
Musik erklang und die Trauergemeinde folgte dem Sarg.
"Denken sie nur, ich war doch gestern bei meiner Bekannten. Und nun soll ich morgen schon wieder hin. Das passt mir gar nicht. Aber sie kann das Alleinsein nicht ab. Es ist anstrengend, sie redet so viel", wisperte es im Wind.

Auf Frau Meierschulte-Lohmanns Grab wuchsen Blumen mit trompetenförmigen Kelchen. Sie neigten sich im Wind, als ob sie lauschten.

"Das bin ich nochmal, vorhin hatte ich ja nicht alles gesagt......"


November 1984